
Virtuelle Eigentümerversammlungen? Na klar! Aber …
Die Digitalisierung hat nun auch die Wohnungseigentümerversammlungen (ETV) erreicht. Mit dem wegweisenden Beschluss des Bundestags vom 3. Juli 2024 wurde ein bedeutender Schritt in Richtung Modernisierung des Wohnungseigentumsrechts vollzogen. Erstmals können Eigentümergemeinschaften ihre Versammlungen vollständig virtuell durchführen – allerdings unter strengen rechtlichen und technischen Auflagen.
Die neue Regelung sieht vor, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) mit einer Dreiviertelmehrheit beschließen kann, ihre Versammlungen digital abzuhalten. Diese Neuerung baut auf der WEG-Reform von 2020 auf, die bereits erste Schritte in Richtung digitaler Teilhabe ermöglichte. Der Gesetzgeber hat dabei jedoch eine wichtige Einschränkung vorgesehen: Bis zum Jahr 2028 muss weiterhin mindestens eine Präsenzversammlung im Jahr stattfinden. Diese Regelung kann nur durch einen einstimmigen Beschluss der Eigentümer aufgehoben werden – eine hohe Hürde, die bewusst eingebaut wurde, um technikferne Eigentümer zu schützen.
Interessant ist der Blick auf die Praxis: Viele Eigentümer, aber auch Juristen und Richter, sehen die Entwicklung durchaus kritisch. Sie befürchten eine Spaltung der Gemeinschaft und den Ausschluss weniger technikaffiner Mitglieder. Auch der persönliche Austausch, der oft vor und nach Versammlungen stattfindet, kann digital nur schwer ersetzt werden. Andere hingegen begrüßen die zeitgemäße Modernisierung und die damit verbundene Flexibilität.
Verwalter stehen vor der Aufgabe, diese verschiedenen Interessen auszubalancieren. Sie müssen nicht nur die technische Durchführung gewährleisten, sondern auch eine faire und inklusive Teilhabe aller Eigentümer sicherstellen. Eingeladen werden muss weiterhin schriftlich, wobei die Frist auf drei Wochen verlängert wurde. Auch müssen klare Regeln für den Umgang mit technischen Störungen und Verbindungsabbrüchen festgelegt werden.
Die Vielfalt der Systeme und ihre Herausforderungen
Die praktische Umsetzung einer hybriden oder virtuellen ETV stellt Verwalter vor komplexe Herausforderungen. Zentral ist die Wahl des richtigen Programms und Systems. Dabei müssen nicht nur technische Aspekte wie Stabilität und Benutzerfreundlichkeit berücksichtigt werden, sondern vor allem auch datenschutzrechtliche Anforderungen. Die Vertraulichkeit der Versammlung muss ebenso gewährleistet sein wie die sichere Identifikation der Teilnehmer und die Möglichkeit zur rechtssicheren Abstimmung. Bei der Wahl des geeigneten Systems müssen Verwalter besonders sorgfältig vorgehen. Ein häufiger Irrtum dabei ist, dass etablierte Videokonferenztools wie Zoom, WebEx oder GoTo Meeting für eine ETV ausreichend seien. Diese Tools sind jedoch primär für geschäftliche Konferenzen und Besprechungen konzipiert und weisen erhebliche Defizite für die spezifischen Anforderungen einer ETV auf. Vor allem fehlen ihnen essenzielle Funktionen wie eine rechtssichere Protokollierung, spezifische Abstimmungstools und die Möglichkeit zur formalen Dokumentation von Beschlüssen.
Zwar gibt es mittlerweile Zusatztools von Drittanbietern, die eine automatisierte Protokollierung mit Künstlicher Intelligenz anbieten. Diese Lösungen werfen jedoch neue datenschutzrechtliche Probleme auf, da die Anbieter solcher KI-gestützter Datenverarbeitungen häufig in Drittländern angesiedelt sind. Angesichts der strengen Vorgaben der DSGVO ist ein solches Vorgehen rechtlich kaum vertretbar.
Eigenbau oder SaaS?
Eine sicherere Option ist der Aufbau einer eigenen Infrastruktur, etwa mit Open-Source-Lösungen wie Jitsi oder OwnCloud, die in den Räumen des Verwalters betrieben werden. Diese bieten maximale Kontrolle über die Daten; der Betrieb erfordert jedoch erhebliches technisches Know-how und Ressourcen. Ein anderer Weg ist die Nutzung eines europäischen Rechenzentrums, in dem der Verwalter die Server selbst betreibt, oder der Einsatz spezialisierter Software-as-a-Service-Lösungen (SaaS), die spezifisch für Eigentümerversammlungen entwickelt wurden. Dabei ist besonders auf den Serverstandort zu achten – Anbieter aus Drittländern wie den USA sind aufgrund der strengen Vorgaben der DSGVO praktisch ausgeschlossen.
Und dann ist da noch der Datenschutz
Der Datenschutz spielt bei einer hybriden oder einer virtuellen Versammlung eine herausragende Rolle, wobei den Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO besondere Bedeutung zukommt. Verwalter sind verpflichtet, vor der Durchführung einer virtuellen ETV umfassend und transparent über die Datenverarbeitung zu informieren. Dies betrifft nicht nur die unmittelbaren Teilnehmer, sondern alle Eigentümer – unabhängig von ihrer tatsächlichen Teilnahme an der Versammlung. Die Informationspflichten müssen dabei alle Aspekte der Datenverarbeitung abdecken: von der Nutzung der Videokonferenztools bis zu elektronischen Abstimmungssystemen. Besonders kritisch ist die Frage der Datenübermittlung in Drittländer. Werden Dienste genutzt, die Daten außerhalb der EU verarbeiten, müssen dafür besondere Legitimationsgrundlagen geschaffen werden – ein Unterfangen, das in der Praxis oft kaum rechtskonform umsetzbar ist. Dies ist ein weiterer gewichtiger Grund, weshalb europäische Anbieter vorzuziehen sind, die ihre Tools von vornherein DSGVO-konform konzipiert haben.
Für die praktische Umsetzung empfiehlt es sich, die erforderlichen Datenschutzinformationen in einem gesonderten Dokument zusammenzufassen und dieses bereits mit der Einladung zur Eigentümerversammlung zu versenden. Der Vorteil: Wurde ein Eigentümer einmal umfassend informiert, genügt für künftige Versammlungen ein Verweis auf die bereits übermittelten Informationen. Wichtig ist dabei, dass die Datenschutzerklärung wirklich alle Aspekte der Datenverarbeitung abdeckt – von den verwendeten Tools über die Art der verarbeiteten Daten bis zu den Speicherfristen und Empfängern der Daten. Das verringert die datenschutzrechtliche Angriffsfläche erheblich.
Problem: Datentransfer in Drittstaaten
Verwalter müssen die Datenverarbeitung rechtlich absichern und dokumentieren, auf welcher Grundlage sie personenbezogene Daten verarbeiten. Alle Vereinbarungen mit Dienstleistern müssen der DSGVO entsprechen, besonders die Auftragsverarbeitungsverträge. Deutsche und europäische Anbieter sind hier im Vorteil. Seit den Schrems-II-Urteilen müssen Datenübermittlungen in Drittländer besonders sorgfältig geprüft und dokumentiert werden. Dies gilt auch für versteckte Datenflüsse bei Support- oder Cloud-Diensten. In der Praxis sollten deshalb Anbieter bevorzugt werden, die ihre Infrastruktur innerhalb der EU betreiben. Die Nutzung externer Dienstleister erfordert es, Auftragsverarbeitungsverträge abzuschließen, die detailliert regeln, wie mit den Daten umgegangen wird, welche Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden und wann Daten gelöscht werden müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass viele gängige Videokonferenzsysteme Daten zu eigenen Zwecken verarbeiten möchten – eine Praxis, die kritisch zu prüfen ist.
Spezialisierte Anbieter für die Wohnungswirtschaft
Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass hybride und virtuelle Eigentümerversammlungen an Bedeutung gewinnen werden. Spezialisierte Anbieter wie Vote@home, facilioo/ista, NEOVE oder Vulcavo entwickeln bereits maßgeschneiderte Lösungen für die Wohnungswirtschaft. Diese sind spezifisch auf die Anforderungen von Eigentümerversammlungen zugeschnitten und bieten integrierte Funktionen für Protokollierung, Abstimmungen und rechtssichere Dokumentation. Anders als bei klassischen Videokonferenztools steht hier die Erfüllung der rechtlichen und der formalen Anforderungen einer Eigentümerversammlung im Vordergrund. Besonders wichtig ist dabei die integrierte, DSGVO-konforme Protokollierungsfunktion, die ohne Rückgriff auf KI-Systeme in Drittländern auskommt.
Der Erfolg virtueller Eigentümerversammlungen wird maßgeblich davon abhängen, wie gut es gelingt, Technik und Recht in Einklang zu bringen und dabei die Bedürfnisse aller Eigentümer zu berücksichtigen. Die neue gesetzliche Regelung bietet dafür einen flexiblen Rahmen, der es Eigentümergemeinschaften ermöglicht, schrittweise in die digitale Zukunft zu gehen. Die Übergangszeit bis 2028 mit der Pflicht zu mindestens einer Präsenzversammlung pro Jahr erscheint dabei als kluger Kompromiss, der sowohl Innovation ermöglicht als auch traditionelle Formen des Austauschs bewahrt. Für Verwalter bedeutet diese Entwicklung sowohl Chance als auch Herausforderung. Sie müssen sich nicht nur technisch und rechtlich fortbilden, sondern auch ihre Rolle als Moderatoren und Vermittler in der digitalen Sphäre neu definieren. Letztlich wird der Erfolg virtueller Eigentümerversammlungen davon abhängen, ob es gelingt, die technischen Möglichkeiten so einzusetzen, dass sie die Gemeinschaft stärken, statt sie zu spalten.
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Reinhold Okon
REINHOLD OKON ist zertifizierter Datenschutzbeauftragter (TÜV Süd) und hat sich seit Jahren auf den Datenschutz in der Haus- und Immobilienverwaltung spezialisiert.
DSB Okon & Meister