Klimaneutraler Hitzeschutz in Bestandsgebäuden
„Variable Verschattungen sind vorteilhaft“
Es wird immer heißer in den Städten – der Temperaturunterschied zwischen Stadt und Land beträgt mittlerweile bis zu zehn Grad. Klimaneutraler Hitzeschutz im Gebäudebestand wird deshalb immer mehr zu einem Thema, mit dem sich Verwalter intensiv auseinandersetzen müssen. Prof. Dr.-Ing. Thomas Naumann und Prof. Dr.-Ing. Jens Bolsius, die zur Hitzeanpassung urbaner Gebäude- und Siedlungsstrukturen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden forschen, erklären im Interview mit dem BVI-Magazin, was es mit dem städtischen Wärmeinseleffekt auf sich hat, warum in Gebäuden der Luftwechsel in der Nacht so wichtig ist und weshalb nicht jede Schutzmaßnahme für jede Jahreszeit gleichermaßen geeignet ist.
BVI-Magazin: Herr Prof. Dr. Naumann, an welcher Forschungsstudie arbeiten Sie? Wer hat diese Studie in Auftrag gegeben und durch wen wird sie unterstützt?
Prof. Dr. Thomas Naumann: Neben zahlreichen anderen Forschungs- und Projektaufträgen arbeiten wir derzeit in der finalen Umsetzungsphase an unserem BMBF-Forschungsprojekt „HeatResilientCity II“ (Hitzeanpassung urbaner Gebäude- und Siedlungsstrukturen), wo sich unser Team aus Ingenieuren der Bau- und Haustechnik mit Verletzbarkeitsanalysen und Anpassungskonzepten beschäftigt, die sich beispielhaft auf Mehrfamilienwohnhäuser in städtischen Bereichen von Dresden und Erfurt konzentrieren. Bei diesem Projekt haben wir die erfreuliche Situation, dass unsere Forschergruppe eine zweistufige Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung erlangen konnte. Dafür sind wir sehr dankbar.
BVI-Magazin: Wer arbeitet mit Ihnen zusammen an diesem Thema? Ist es von bundesweiter Tragweite?
Prof. Dr. Thomas Naumann: Das interdisziplinäre Team im Forschungsprojekt „HeatResilientCity II“ umfasst Experten verschiedener Fachrichtungen, die gemeinsam zur Minderung sommerlicher Überhitzungen in städtischen Gebäuden und Freiräumen arbeiten. Hierfür werden unter anderem (1) Meteorologen mit dem Arbeitsschwerpunkt Stadtklima, (2) Experten für Freiraumplanung sowie Stadtplanung und (3) bau- und haustechnisch qualifizierte Ingenieure benötigt. Überdies sind auch Mediziner in den Arbeitsprozess einbezogen.
Die Minderung sommerlicher Überhitzungen von städtischen Freiräumen und Innenräumen von Gebäuden gewinnt deutschlandweit, aber auch in anderen Teilen Europas an Bedeutung, da diese Entwicklung die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und auch die Gesundheit verschiedener Bevölkerungsgruppen nachweisbar beeinträchtigt.
BVI-Magazin: Wie kommt es überhaupt zu einer Überhitzung in den Innenstädten? So viel wärmer ist es doch in den letzten Jahren gar nicht geworden?
Prof. Dr. Thomas Naumann: Unsere Forschungspartner aus der Meteorologie zeigen uns eindrücklich, dass zu den wesentlichen und für uns spürbaren Konsequenzen des Klimawandels eine messbare Verstärkung sommerlicher Wetterphänomene gehört. Neben zunehmenden sommerlichen Durchschnittstemperaturen und Maximaltemperaturen betrifft dies etwa die Anzahl der „heißen Tage“ (Höchsttemperatur ≥ 30 Grad Celsius) sowie der „Tropennächte“ (Tiefsttemperatur ≥ 20 Grad Celsius). Diese klimatischen Veränderungen führen zwangsläufig zu einer ansteigenden Hitzebelastung in städtischen Verdichtungsräumen, die infolge ihrer dichteren Bebauung einen geringeren Luftaustausch erfahren. Damit stellt sich während sonnenscheinreicher und windschwacher sommerlicher Wetterlagen ein Temperaturunterschied zwischen Stadt und Umland ein, der durchaus fünf bis zehn Kelvin* betragen kann. Das bezeichnet man als „städtischen Wärmeinseleffekt“. Durch sommerliche Hochdrucklagen mit weniger Wolken ist auch eine höhere Strahlungsbelastung zu verzeichnen, die wiederum mehr Energie in den städtischen Raum einträgt. Weiterhin zeigen uns besonders trockene Sommerperioden, wie etwa 2018 oder 2022, dass ausgedorrte Grün- und Freiflächen ihre eigentlich positive Kühlleistung durch fehlende Verdunstung nur noch reduziert erbringen.
BVI-Magazin: Herr Prof. Dr. Bolsius, wie reagieren die Gebäude auf die Hitze? Kann man denn überhaupt etwas an Bestandsbauten tun, um die Hitze vom Inneren des Gebäudes fernzuhalten?
Prof. Dr. Jens Bolsius: Gebäude reagieren auf sommerliche Hitzeperioden sehr unterschiedlich. Die Innenraumtemperaturen hängen entscheidend von der Gebäudestruktur, der Nutzung und den Standortbedingungen ab. Bestandsgebäude mit hohen Bauwerksmassen, vergleichsweise kleinen Fenstern und mit einer intensiven Nachtlüftung widerstehen einer sommerlichen Hitzebelastung oftmals gut. Positiv ist auch eine Verschattung durch Vegetation oder Nachbarbebauungen. Hier besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf und es ist wahrscheinlich, dass diese Gebäude auch in der näherliegenden Zukunft ausreichend resilient sind.
Deutlich anders ist dies zum Beispiel bei ausgebauten Dachgeschossen. Ebenso gibt es eine große Anzahl von Gebäuden, die mit großzügigen Fensterflächen ausgestattet sind und bei denen die Wandkonstruktionen deutlich geringere Massen aufweisen als beim traditionellen Mauerwerksbau. Besonders problematisch wird es, wenn eine hohe Belegungsdichte oder/und eine intensive Nutzung technischer Geräte hinzukommt.
Typische Maßnahmen zur Verbesserung des thermischen Raumklimas sind dann die Verschattung der Fenster, die gezielte Intensivierung der Nachtlüftung und – sozusagen als letztes Mittel – die Installation einer technischen Anlage zur Raumkühlung. Aufgrund der großen Variabilität der Gebäudestrukturen, Nutzungen und Randbedingungen (Denkmalschutz!) ist im Einzelfall zu entscheiden, welche Lösung realisiert werden sollte.
BVI-Magazin: Welche Maßnahmen können die Bewohner selbst ergreifen, um die Hitze besser zu ertragen? Gerade Dachgeschosswohnungen – vor allem im alten Gebäudebestand – lassen sich derzeit schwer vermieten. Hilft denn eine Klimaanlage? Die darf der Mieter ja ohne Zustimmung des Eigentümers und städtischer Ämter gar nicht verbauen.
Prof. Dr. Thomas Naumann: Zunächst einmal unterscheiden wir vier grundlegende Strategien zur Reduzierung sommerlicher Überhitzungen in Wohngebäuden: (1) die Minderung der Wärmeeinträge, etwa durch Verschattungsmaßnahmen, eine gute Wärmedämmung von Außenbauteilen, reflektierende Bauteiloberflächen und/oder wirksame Dach- und Fassadenbegrünungen; (2) eine Optimierung der Wärmespeicherfähigkeit, etwa durch verfügbare Bauteilmassen im Anschluss zum Wohnraum; (3) einen für den Sommer optimierten Luftwechsel mit verstärkter Nachtlüftung sowie (4) nur in schwierigen Fällen eine aktive Kühlung, die jedoch mindestens durch erneuerbare Energiequellen gespeist werden sollte.
Zu Ihrem Beispiel exponierter Dachgeschosswohnungen mit oftmals leider unzureichenden Verschattungsmöglichkeiten und geringen inneren Speichermassen ist zunächst festzuhalten, dass diese nicht selten wirklich hohe sommerliche Hitzebelastungen für Bewohner zeigen, woraus dann ein bau- und haustechnischer Handlungsbedarf erwächst.
Neben den bau- und haustechnischen Maßnahmen kann auch der Nutzer selbst zur Minderung sommerlicher Überhitzungen beitragen, indem er (a) insbesondere tagsüber die Verschattungsmöglichkeiten optimal ausnutzt und (b) eine bestmögliche Nachtauskühlung für seine Wohnung anstrebt. Während dazu natürlich auch die Fensterlüftung beiträgt, empfehlen wir in verschiedenen Gebäuden auch automatisierte Anlagen zur Nachtlüftung von Wohnräumen. Ein angepasstes Nutzerverhalten kann sommerliche Überhitzungen in vielen Fällen reduzieren, reicht aber in schwierigen baulichen Situationen als alleinige Maßnahme oftmals nicht aus.
BVI-Magazin: Viele Bürogebäude sind 20 und mehr Jahre alt. Es war damals schick, mit viel Stahl und Glas zu bauen, was sich jetzt rächt. Durch die Hitze am Arbeitsplatz leiden natürlich Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter. Was empfehlen Sie, um die Lebensqualität am Arbeitsplatz zu erhalten oder wiederherzustellen?
Prof. Dr. Jens Bolsius: Gebäude mit einem sehr hohen Verglasungsanteil erfordern in jedem Fall eine wirksame Verschattung. Hier empfehlen sich vorzugsweise außenliegende Verschattungen. Werden außenliegende Verschattungen zum Beispiel aus architektonischen oder baukon-struktiven Gründen als unzweckmäßig empfunden, kommen auch Verschattungen in Betracht, die zwischen den Verglasungsebenen oder – wenn es gar nicht anders geht – innenliegend angeordnet sind. Innenliegende Verschattungen sind nur hinreichend wirksam, wenn sie weitgehend intransparent und auf der Außenseite gut reflektierend sind. Ein reiner Blendschutz ist nicht ausreichend.
Bei hohen und mittleren Komforterwartungen ist außerdem eine maschinelle Kühlung unentbehrlich. Auf dem Markt ist eine große Vielfalt an technischen Möglichkeiten verfügbar. Die ingenieurtechnische Herausforderung besteht darin, mit einem möglichst geringen Einsatz an traditionell erzeugter Energie auszukommen, das Zugluftrisiko zu beherrschen und die Investitions- und die Betriebskosten zu begrenzen.
BVI-Magazin: Aus meiner Sicht stehen Hitze und Kälte in einem Zusammenhang. Wenn ich es schaffe, Hitze von einem Gebäude fernzuhalten, kann ich mit der gleichen Maßnahme auch verhindern, die Wärme nach außen dringen zu lassen?
Prof. Dr. Jens Bolsius: Leider ist es nicht ganz so einfach. Im Winter können wir Heizenergie sparen, indem möglichst viel Sonnenenergie durch die transparenten Flächen** in das Gebäude gelangt. Diesen Energieeintrag müssen wir im Sommer unbedingt vermeiden. Daher sind variable Verschattungen vorteilhaft. Problematisch sind hingegen Sonnenschutzverglasungen, die den Strahlungseintrag ganzjährig reduzieren. Ähnlich verhält es sich mit der Lüftung. Während wir im Winter den Luftaustausch auf das hygienisch notwendige Maß begrenzen, kann der Luftwechsel im Sommer zumindest während der Nachtstunden eigentlich nicht groß genug sein. Es ist daher leider so, dass die für den Winter konzipierten Lüftungsanlagen oft deutlich zu klein sind, um eine wirksame sommerliche Nachtauskühlung zu ermöglichen.
Die Frage, ob die Wärmedämmung für den Winter auch für den sommerlichen Wärmeschutz zweckmäßig ist, ist nicht einfach zu beantworten. Unbestritten ist, dass in den allermeisten Fällen eine gute Wärmedämmung für den winterlichen Wärmeschutz sinnvoll und unentbehrlich ist. Auch bei sehr heißen Sommertagen bewirkt die Wärmedämmung zunächst eine Minderung des Energieeintrags in das Gebäude. Andererseits behindert die Wärmedämmung jedoch die Entwärmung des Gebäudes zumindest während der kühlen Nacht- und Morgenstunden. Beide Wirkungen heben sich im Sommer nahezu auf, sodass der Einfluss der Wärmedämmung auf die Innenraumtemperaturen insgesamt nur gering ist.
Das Interview führte Cornelia Hopf-Lonzen, Vorsitzende des BVI-Landesverbandes Mitte.
Cornelia Hopf-Lonzen
Vositzende des BVI-Landesverbandes Mitte
BVI Bundesfachverband der Immobilienverwalter e.V.
Prof. Dr.-Ing. Jens Bolsius
Prof. Dr.-Ing. Jens Bolsius lehrt Bauklimatik, Bauphysik und Raumlufttechnik an der Fakultät Maschinenbau der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden.
Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden
Prof. Dr.-Ing. Thomas Naumann
Prof. Dr.-Ing. Thomas Naumann lehrt Baukonstruktion und Bauwerkserhaltung an der Fakultät Bauingenieurwesen der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden.
Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden
Im März 2023 wird sich in Dresden der Verwaltertag des BVI Mitte ausführlich mit dem klimaneutralen Hitzeschutz in Bestandsgebäuden und allen ihn begleitenden juristischen, planerischen und finanztechnischen Fragen beschäftigen. Sie sind schon jetzt herzlich eingeladen, dabei zu sein! Merken Sie sich den Termin vor – weitere Informationen folgen.
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*In Naturwissenschaft und Technik wird der Temperaturunterschied nicht in Grad, sondern in Kelvin angegeben. Der Temperaturunterschied in den beiden Einheiten ist gleich.
**In der Regel Fenster, Balkon- und Terrassentüren