ESG: Noch eine Aufgabe, die Immobilienverwalter stemmen sollen?
Environmental-, Social- und Governance-Kriterien (ESG) sind längst nicht mehr nur etwas für Investoren von Neubauprojekten oder für Großkonzerne. Das Thema Nachhaltigkeit wird auch für Bestandsimmobilien stark an Bedeutung zunehmen und damit noch mehr als bisher Eigentümer, Vermieter und Mieter erreichen – und mit ihnen Immobilienverwaltungen. Ist das Last oder Chance? Wie kann der Wandel hin zu ESG-konformen Prozessen gelingen? Dazu sprach Andre Leber, Senior Manager Digital Processes bei der Haufe-Lexware Real Estate AG, mit seinem Kollegen und ESG-Experten Stefan Klotz.
Andre Leber: Bei Wohnungsbauunternehmen oder Genossenschaften ist die Sache klar: Diese müssen sich mit den ESG-Anforderungen ihrer Bestände auseinandersetzen, tun dies auch bereits. Aber Immobilienverwaltungen? Ich war der Auffassung, dass ESG die Verwalterbranche noch nicht betrifft.
Stefan Klotz: Dazu ist ein anderer ESG-Aspekt voranzustellen. Nachhaltige Investments stehen immer mehr im Fokus der Immobilienwirtschaft. ESG-Kriterien haben dabei aber nicht nur Einfluss auf neue Immobilienprojekte, sondern auch auf die Verwaltung bereits bestehender Objekte. Denn der Gebäudebestand soll ganzheitlich saniert werden. Die Bedeutung von ESG-Kriterien bei Bestandsimmobilien wird deshalb steigen, eine breitere Zielgruppe beschäftigen – und damit auch Immobilienverwalter.
Andre Leber: Nachhaltigkeit an sich ist ja nichts Neues. Aber jetzt geht es mehr um Nachhaltigkeitsmanagement?
Stefan Klotz: Tatsächlich geht es bei ESG um zahlreiche Aspekte. „E“ wie Environment umfasst insbesondere Kriterien zur Energie- und Ressourceneffizienz, zum Beispiel Photovoltaikanlagen, Wasser- und Abfallmanagement oder eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Neben diesen „klassischen“ Nachhaltigkeitsthemen spielt auch die soziale Gerechtigkeit eine Rolle: „S“ steht für Social, mit Aspekten wie Arbeitssicherheit, Menschenrechten oder Diversity. „G“ wie Governance umfasst Kriterien einer nachhaltigen Unternehmensführung. Über diese verschiedenen Aspekte haben Unternehmen unzählige Daten zu erfassen, zu verarbeiten und zu analysieren. Mit steigenden Anforderungen, nicht nur bei den Standards, sondern auch beim dazugehörigen Reporting.
Andre Leber: Wenn ich zum Beispiel an Verwaltungsunternehmen denke, mit einigen Hundert verwalteten Einheiten und zwei bis vier Mitarbeitern: Ich kann mir schwer vorstellen, wie diese Anforderungen neben dem Arbeitsalltag zu stemmen sind.
Stefan Klotz: Die Anforderungen durch die ESG-Richtlinien sind komplex. Deshalb werden die Immobilienverwaltungen eine leistungsfähige digitale Unterstützung brauchen, die alle relevanten Bereiche abdeckt. Entscheidend ist dabei eine erhöhte Datenqualität und eine Real-Time-Erfassung ohne Medienbrüche mit Revisionssicherheit. Diese Anforderungen lassen nur einen Schluss zu: Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP) werden rasant an Bedeutung zunehmen. Oder anders ausgedrückt: Ohne ERP gibt es kein ESG!
Andre Leber: Das klingt, als ob nur das richtige ERP-System benötigt und der notwendige Bericht automatisch ausgeworfen wird. So einfach ist es wahrscheinlich nicht, oder?
Stefan Klotz: ERP-Systeme sind in der Lage, alle relevanten Daten zusammenzubringen, mit dem Ergebnis, alle Arten von Berichten und Dashboards einfacher, schneller und konsistenter zu erstellen. Schon jetzt werden in der Immobilienbranche umfangreiche Daten zum Energieverbrauch gesammelt und berichtet. Die CO2-Bilanz der verwalteten Objekte läuft über das ERP-System und kann durch den Datenaustausch mit dem Messdienstleister schon heute realisiert werden.
Andre Leber: Eine letzte Frage: Womit sollten Immobilienverwaltungen anfangen? Mit der Datengrundlage für ESG – um damit beispielsweise WEGs über einen schlechten Energiestandard ihrer Immobilie zu informieren? Oder eher mit einzelnen Pilotprojekten?
Stefan Klotz: Einzelmaßnahmen beobachte ich bei den Bestandshaltern. Das sind eher ernüchternde Leuchtturmprojekte. Das Dilemma ist häufig, eine Balance herzustellen zwischen technischen Möglichkeiten und bezahlbaren Kosten. Als erster wichtiger Schritt hin zu einem umfassenden ESG-Konzept sollten Immobilienverwaltungen in jedem Fall ihre Stammdaten auf den aktuellen Stand bringen. Wer heute für eine verlässliche Datenqualität sorgt, ist für die Zukunft gut gerüstet. Das zahlt sich aus, auch für ESG.
Andre Leber: Mein Fazit aus dem Gespräch: ESG ist einerseits ein weiteres komplexes Thema, das Verwalter umsetzen können – und müssen. Zugleich bietet es die Chance, wertige Verwaltungsleistungen zu den Eigentümern zu transportieren. Zudem sind die ESG-Leistungen (noch) nicht im Verwaltervertrag enthalten und bieten dadurch mögliche Sondervergütungen.
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ANDRE LEBER
ANDRE LEBER ist Senior Manager Digital Processes bei der Haufe-Lexware Real Estate AG. Er hat sich der erfolgreichen digitalen Transformation von Immobilienverwaltungen verschrieben, die er auf diesem Weg aktiv mit Leidenschaft und Energie begleitet.
STEFAN KLOTZ
STEFAN KLOTZ verantwortet als Business Developer die strategische Weiterentwicklung des wohnungswirtschaftlichen Produktportfolios der Haufe-Lexware Real Estate AG. Ihn treibt die Frage um, wie durch nachhaltige und digitale Prozesse CO2-Emissionen zu reduzieren sind.