Praktische Lösungen für wiederkehrende Rechtsprobleme
Virtuelle Eigentümerversammlungen zugelassen – eine rechtliche Einordnung
Die Gesetzesänderung zur Zulassung virtueller Eigentümerversammlungen hat nach dem Deutschen Bundestag nun auch den Bundesrat passiert. Danach ist neben der Präsenzversammlung und der möglichen Online-Teilnahme an einer solchen (Hybrid-Versammlung) die virtuelle Versammlung (§ 23 Abs. 1a WEG) eine weitere Versammlungsoption.
Wann ist die virtuelle Eigentümerversammlung sinnvoll?
Verwaltungen sollten zeitnah eine Bestandsaufnahme machen, für welche der von ihnen verwalteten Gemeinschaften eine virtuelle Eigentümerversammlung geeignet ist. Zu denken ist an „junge dynamische Gemeinschaften“, Gemeinschaften mit vorwiegend Kapitalanlegern oder an WEG-Ferienhausanlagen.
Entscheidung durch Beschluss
Zur Zulassung der virtuellen Eigentümerversammlung bedarf es einer qualifizierten Mehrheit von mindestens drei Vierteln der in der Eigentümerversammlung abgegebenen Stimmen. Bei der Auszählung gilt das gesetzliche Stimmrecht (§ 25 Abs. 2 WEG = Kopfprinzip), im Einzelfall das vereinbarte (zum Beispiel MEA). Zu beachten ist die Befristung auf maximal drei Jahre. Eine darüber hinaus gehende Beschlussfassung ist teilnichtig. Nach Ablauf der gesetzlichen Dreijahresfrist entfällt automatisch die Grundlage für virtuelle Eigentümerversammlungen, falls nicht rechtzeitig ein neuer Beschluss gefasst wird. Verwaltungen müssen den Zulassungsbeschluss auf „Wiedervorlage nehmen“.
Präsenzversammlung bis 2028
Wohnungseigentümergemeinschaften, die vor dem 1. Januar 2028 einen Beschluss zur virtuellen Versammlung fassen, müssen bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchführen. Soweit alle auf der Eigentümerversammlung anwesenden oder wirksam vertretenen Mitglieder zustimmen, kann darauf verzichtet werden. Im Anschluss an eine positive Beschlussfassung über die Zulassung der virtuellen Eigentümerversammlung sollte ein weiterer Antrag gestellt werden auf Verzicht einer Präsenzversammlung. Für den Fall einer Anfechtung ist es empfehlenswert, zwei gesonderte Beschlussanträge zu stellen.
Zeitpunkt und Inhalt dieser „Pflichtversammlung“ bleiben unklar, auch die Folgen eines Verstoßes gegen die gesetzliche Vorgabe. Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 48 Abs. 6 WEG) führt ein Verstoß gegen diese Pflicht jedenfalls nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der in einer virtuellen Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse.
Stattfinden oder stattfinden kann
Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll beschlossen werden, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort „stattfindet oder stattfinden kann“. Über diese Alternativen muss klar und eindeutig beschlossen werden. Die Verwaltung ist sodann entweder daran gebunden, die nächsten Versammlungen als virtuelle Eigentümerversammlung stattfinden zu lassen oder hat ein entsprechendes Ermessen bzw. muss nachfolgend über einen Geschäftsordnungsbeschluss das konkrete Format für jede anstehende Versammlung regeln.
Technische Anforderungen
Während die technische Basis für die virtuelle Eigentümerversammlung überschaubar ist, bedarf es einer entsprechenden Software. Hier ist nicht nur sicherzustellen, dass die virtuelle Eigentümerversammlung hinsichtlich Teilnah- me und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein muss. Technisch erfordert dies die Durchführung einer Videokonferenz (Zwei-Wege-Audio- und -Videoverbindung in Echtzeit). Vor allem muss die Lösung DSGVO-konform sein. Es gibt bereits spezialisierte Lösungen, mit denen Versammlungsplanung, Erstellung der Tagesordnung, Einladung, Vollmachten-Verwaltung, Abstimmung, Auswertung und Protokollierung an einem Ort gesammelt werden können. Solche Lösungen vorzuhalten wird für Verwaltungen künftig ein Wettbewerbsvorteil sein.
Vorteile gegenüber dem Umlaufbeschluss
Soweit eine (weitere) Präsenzversammlung vermieden werden soll, bietet sich bereits seit dem 1. Dezember 2020 die Absenkung in das Mehrheitsumlaufverfahren an (§ 23 Abs. 3 Satz 2 WEG). Gegenüber der virtuellen Eigentümerversammlung ist die Beschlussfassung im Mehrheitsumlaufverfahren allerdings weniger demokratisch. Eine Diskussion findet nicht mehr statt. Gerade bei kostenintensiven und Themen mit mehreren Handlungsoptionen bietet sich ein weiterer Austausch in virtueller Form an.
Würdigung und Ausblick
Neben der Präsenzversammlung und der Hybridversammlung wird sich die virtuelle Eigentümerversammlung etablieren. Verwaltungen finden kaum noch Nachwuchs, Wohnungseigentümergemeinschaften keine qualifizierten Verwaltungen mehr. Die virtuelle Eigentümerversammlung reduziert nicht nur den Personalaufwand, sondern ist auch attraktiv für (junge) Berufseinsteiger. Die virtuelle Versammlung ist zeitgemäß, effizient, kostengünstig, umweltfreundlich, demokratisch und barrierefrei. Virtuelle Eigentümerversammlungen bieten viele Chancen. Auf geht’s!
Kontakt
CARSTEN KÜTTNER
CARSTEN KÜTTNER ist Rechtsanwalt (Partner) bei der Kanzlei W•I•R Breiholdt Nierhaus Schmidt in Hamburg.
W•I•R Breiholdt Nierhaus Schmidt